Am 12. Januar 1911 erreichte Amundsen die Walbucht
bei der Roosevelt-Insel. Was die Ausrüstung betraf, hatte er nichts dem Zufall überlassen. Einfach
und widerstandsfähig lautete sein Grundsatz. Der Proviant für Männer und Hunde bestand aus Pemmikan
mit Haferflocken und Gemüse. Als Schutz vor der Kälte hatte man Schlafsäcke aus Rentierfell, sowie
ein Fertigteilhaus, dessen Außenwände mit Teer bestrichen und mit Ringen, die zur Verankerung
bei einem Blizzard dienten, versehen waren. Dazu hatte er noch große und kleine Zelte, darunter
vollkommen wasserdichte für eine Person mit einem verschnürbaren Sack im Inneren als doppelten
Schutz.
Auf dem Marsch beabsichtigte er nur Schlitten, Skier und Eskimohunde mitzunehmen, die am
widerstandfähigsten waren und die man während der Fahrt durch die südlichen Gewässer ständig
in Bewegung gehalten hatte. Amundsen vertrat die Ansicht, dass die Hunde den Ponys überlegen
waren, weil sie ein geringeres Gewicht besaßen und ohne Gefahr die dünnen Eisbrücken über den
Gletscherspalten zu überschreiten vermochten. Sie nährten sich vom Fleisch ihrer Artgenossen
- bei Futtermangel konnte man einige der Hunde töten ( für die Ponys mußte man hingegen größere
Mengen Futter mitführen ).
Amundsen ließ vier Meter lange Schlitten aus Eschenholz herstellen, die mit Metallbändern verstärkt
waren. Die Ladung verstaute man in eigens sorgfältig gebauten Kisten. Für das Gespann wählte man das in Alaska
gebräuchliche Geschirr. Die Hunde vermochten ohne große Anstrengung das Gespann zu ziehen und kamen einzeln,
der Reihe nach über die Gletscherspalten und nicht gemeinsam in einem großen Pulk.
Am 10. Februar stach die "Fram" in See, und Amundsen blieb mit acht Gefährten an Land zurück.
Noch am selben Tag brach er mit drei Männern, drei Schlitten und achtzehn Hunden auf. Es mußten der
erste Teil des Weges erkundet und das erste Lebensmittellager errichtet werden. Fünf Tage später befand er
sich auf dem 80. Breitengrad und hinterließ dort seine Vorräte. Sowohl beim Hin- und Rückmarsch
kennzeichneten sie mit Bambusstangen, an denen Fähnchen hingen, oder mit Stockfischen, die
sie ins Eis steckten, den Weg. Bei seiner Rückkehr fand Amundsen "Franheim", wie er sein erstes Lager
genannt hatte, blutbesudelt vor. Seine Gefährten hatten mehrere Seehunde erlegt, ausgeweidet und zerstückelt.
Die gewaltige Schlächterei wirkte in der Kälte weniger ekelerregend. Das Fleisch war für die Proviantdepos bestimmt, die
Abfälle warf man den Hunden vor.
Am 22. Februar brach Amundsen, dessen Schlitten schwer mit Fleisch beladen war, nach Süden auf. Er hatte an seinen
Schuhen und Skiern einige Änderungen vorgenommen, so dass sie nun den Erfordernissen des Geländes, das
er bei seiner ersten Erkundung durchquert hatte, entsprachen. Er wollte ein Depot in 257 km Entfernung vom
Hauptlager errichten, und zwar auf der Höhe des 81. Breitengrades.
Am 04. März traf er dort ein. Am folgenden Tag sandte er seine Männer nach "Franheim" zurück
und setzte den Marsch allein, mit einem Schlitten, auf dem sich eine Ladung Fleisch befand, fort.
Er erreichte den 82. Breitengrad und hinterließ dort sein drittes Lebensmitteldepot, das 368 Kilometer vom Ausgangspunkt
entfernt war.
Die zunehmende Kälte verkündete das Ende des australischen Sommers. Die Männer hatten während der letzten
Märsche Temperaturen von -45° C festgestellt. Amundsen kehrte schnell nach "Franheim" zurück und traf dort die
letzten Vorkehrungen zur Überwinterung. Man grub Tunnel, welche die Zelte und das Fertighausteil miteinander
verbanden. Diese Arbeiten halfen, die lange Winterzeit zu überbrücken und die gute Stimmung zu
erhalten, was nicht immer leicht fiel. In den ersten schönen Tagen begann Amundsen mit den Vorbereitungen
zur großen Expedition. Anfang September waren sie beendet und am 08. desselben Monats fand der
Aufbruch statt. Man hatte nicht mit der Kälte gerechnet. Die Temperatur fiel unter -50° C. Wenngleich
die dick eingemummten Männer nicht zu sehr darunter litten, so kamen doch die Hunde nur langsam voran.
Amundsen bezwang seine Ungeduld und entschloß sich zur Umkehr, nachdem er einige zusätzliche Proviantdepos
errichtet hatte. Am 16. traf die Expedition wieder in "Franheim" ein, gerade zur rechten Zeit - man hatte
bereits einige Hunde töten müssen und zwei Männer litten an erfrorenen Fersen.
Es hieß sich gedulden und das Ansteigen der Temperatur abwarten. Gegen Ende des Monats verkündeten die ersten Seehunde
und Seeschwalben die endgültige Wiederkehr des Frühlings. Amundsen bestimmte den 19. Oktober zum Aufbruch. Er ließ drei seiner
Gefährten in "Framheim" zurück. Sie sollten die Umgebung der Walbucht erkunden. Als Begleiter wählte er die wiederstandsfähigsten
und entschlossensten Männer: Hanssen, Bjaaland, Wisting und Hassel. Er nahm vier Schlitten und 48 Hunde. Das Glück war den
Norwegern hold. Sie fanden das Ross-Schelfeis als eine ebene Fläche, ohne die erwarteten Gräben, Eisblöcke und Pulverschnee
vor, die den Marsch erschwert hätten. Das Wetter war ausnehmend schön, und Amundsen erlebte keine gewaltigen Stürme geschweige
denn einen vernichtenden Blizzard - im Gegensatz zu Scotts Expedition.
Auf jedem Schlitten befand sich eine Last von 330 kg - vornehmlich Proviant - , da man alles andere auf das Notwendigste
beschränkt hatte: einfache Rettungsausrüstung, ein Fünfmannzelt, Primusherde zum Kochen des Wassers. Innerhalb von sechs Tagen
erreichten sie das Proviantdepot am 80. Breitengrad.
An manchen Tagen legte die Expedition, ohne die Hunde übermässig anzutreiben, 30 km zurück. Am 28. Oktober traf sie bereits
beim Proviantdepot auf dem 81. Breitengrad ein und ohne große Schwierigkeiten am 4. November bei jenem des 82. Breitengrades.
Alle fünf Kilometer errichteten Amundsen und seine Gefährten ein kleines Mal aus Eisblöcken. Am 8. November befanden sie sich
in der Nähe des 83. Breitengrades und stellten fest, dass das Schelfeis an Höhe zunahm.
In der Ferne versperrten hohe Berge den Horizont. Am 16. November erreichten die Forscher beim 85. Breitengrad den Fuß des
Gebirges. Sie waren seit 28 Tagen unterwegs und hatten 700 Kilometer zurückgelegt. Der Himmel war klar, und die Temperatur,
die sich um -25° C hielt, erträglich. Man hatte nur fünf Hunde getötet, alle anderen, welche mit Seehundfleisch gemästet
worden waren, strotzten vor Kraft.
Die Norweger wählten den Einstieg über den Axel-Heiberg-Gletscher. Innerhalb von vier Tagen erreichten sie die Höhe von 3.180 Metern
und betraten bei 85° 36' die vereiste Hochebene. Man tötetes 24 Hunde, die sich nun als hinderlich erwiesen, und zerteilte das Fleisch.
Die "edlen" Stücke behielt man zurück, die Abfälle verteilte man unter den 18 übrigen Tieren. Nach dieser unvermeidlichen Schlächterei
zog man weiter durch die eintönige Landschaft, wobei ein starker Wind die Wirkung der Kälte verstärkte. Der Himmel bedeckte sich,
und zuweilen geriet die Kolonne in dichten Nebel. In den ersten Dezembertagen erreichten Amundsen und seine Gefährten einen hohen
Gletscher, der von gewaltigen Firnblöcken übersät war. Man seilte sich an und ging mit größter Vorsicht weiter. Nur die Skier, mit denen
die Norweger seit ihrer Kindheit vertraut waren, bewahrten sie davor, durch die dünnen Schneebrücken in die Tiefe zu stürzen. Am
3. Dezember betraten die Forscher ein Gelände, welches derart unwegsam war, dass sie es den "Tanzboden des Teufels" nannten. Es war von
Gletscherspalten durchzogen und von mächtigen Eisblöcken übersät. Stellenweise klang der Boden hohl. Hanssens Gespann stürzte in einen
Graben und blieb an den Leinen hängen. Ein anderes Mal dankte auch Bjaaland sein Leben dem Umstand, dass er angeseilt war. Trotz der Gefahren
legten sie 40 Kilometer zurück. Am 6. Tag verließen sie das schwierige Gelände bei 88° 9'.
Den 7. Dezember kennzeichnete ein freudiges Ereignis: sie überschritten die Stelle, an der Shackleton umgekehrt war. Vor ihnen lag die
Hochebene, welche keine besonderen Hindernisse aufwies. Der Südpol befand sich in geringer Entfernung, nur eine Marschwoche trennte sie von
ihrem Ziel. Sie erreichten es am 14. Dezember 1911. Um 3 Uhr macht die Kolonne halt. Nach den Angaben der Zähler hatten sie seit der Mittagsrast
genau 7 Meilen zurückgelegt und ihr Ziel erreicht. Sobald die Gruppe stand, beglückwünschten sie sich und schritten zu einer ergreifenden
Zeremonie. Die norwegische Flagge wurde gehisst. Zu fünft ergriffen sie den Mast und rammten ihn ins Eis. Roald Amundsen sprach dazu folgende
Worte:
"Geliebte Fahne, Emblem des Vaterlandes, wir errichten dich auf dem Südpol der Erde, und der Ebene, welche uns umgibt, geben wir den
Namen unseres Fürsten, König Håkon VII."
Die Forscher hielten sich zwei Tage an Ort und Stelle auf. Amundsen, der die genaue Position des magnetischen Pols festlegen wollte, sandte
Hassel, Wisting und Bjaaland mit Skiern aus, damit sie die Umgebung erkundeten. Die Messungen ergaben eine von den Schätzungen leicht abweichende
Position. Man zog 10 Kilometer weiter und besaß nun die Gewißheit, sich über dem Südpol zu befinden. Am 17. Dezember nahm man das Frühstück im
Rausche der Seligkeit ein. Am Ende der Mahlzeit steckten sich die Männer genußvoll Zigarren an, die Bjaaland dem Expeditionsleiter geschenkt hatte.
Man stellte ein kleines Zelt auf, dessen vier Meter hoher Mittelmast der norwegischen Flagge als Fahnenstange diente. Im Inneren des Polhäuschens
( sie nannten es "Polheim" ) hinterlegte Amundsen einige Kleidungsstücke, mehrere Messinstrumente und zwei Botschaften, eine offizielle, welche
an den König von Norwegen gerichtet war, und eine, die er für seinen "Rivalen" Scott bestimmte.
Diese hatte er überaus taktvoll verfaßt, denn es lag nicht in seiner Absicht, den Engländer zu kränken.
Die Botschaft lautete:
"Lieber geehrter Kommandant Scott,
da Sie aller Wahrscheinlichkeit nach der Nächste sind, welcher nach uns diesen Ort erreicht, möchte ich Sie bitten, beiliegenden
Brief an König Håkon VII zu übersenden. Falls einige der im Zelt befindlichen Gegenstände Ihnen von Nutzen sein können, so zögern Sie nicht, diese
zu verwenden. Auch der Schlitten, der sich außerhalb befindet, vermag Ihnen einige Dienste zu leisten. Mit dem Ausdruck meiner Hochachtung mögen
Sie auch meine Wünsche für eine glückliche Heimkehr begleiten..."
Nach einem letzten Blick auf den Südpol, welchen nunmehr die Flagge kennzeichnete, traten die Norweger den Rückweg an. Dieser dauerte 41 Tage,
bei Tagesmärschen von etwa 30 km und sechsstündigen Rasten. Man umging den "Tanzboden des Teufels", der die einzige unwegsame Stelle war.
Das Jahr 1912 begann unter günstigen Vorzeichen. Das Wetter war außergewöhnlich schön und mild. Man fand ohne Mühe den Weg, welchen die Eismale
kennzeichneten und leerte die Proviantdepots.
Am 25. Januar 1912 weckten die fünf Sieger ihre Gefährten in "Framheim" mit einer Trompetenfanfare. Seit zwei Wochen erwartete sie die "Fram" in
der Walfischbucht. Am 30. begab sich die gesamte Mannschaft an Bord, und 5 Wochen später ging das Schiff in der Reede von Hobart, in Tasmanien vor Anker.
Amundsen durfte nun die Freuden des Sieges genießen. In Europa erwartete ihn ein Triumph.
Doch am Pol hatte sich eine Tragödie abgespielt:
Als Kommander Scott und seine Begleiter Doktor Wilson, Dragoneroffizier Oates, Leutnant Bowers und Unteroffizier Evans schon völlig erschöpft
am 18. Januar 1912 den Pol erreichten, kam zu den Strapazen noch eine Demoralisierung der Männer hinzu.
Enttäuscht traten sie den Rückweg an, und ein Unglück folgte dem anderen. Evans fiel in eine Gletscherspalte und
zog sich eine Gehirnerschütterung zu. Er starb am 17. Februar am Fuße des Gletschers. Oates befand sich
auch in einem erbärmlichen Zustand, seine Füße waren erfroren und um seine Hände stand es nicht viel besser.
Am 16. oder 17. März verließ Oates bei einem Blizzard das Lager und wurde nie wieder gesehen.
Als ihre Lebensmittelvorräte und der Brennstoff zu Ende ging, schlugen die drei Überlebenden am 21. März, nur noch
18 Kilometer vom nächsten Depot entfernt, ihr Zelt auf. Ihr Proviant reichte nur noch für zwei Tage. Während draußen ein schwerer Blizzard tobte, warteten
Wilson, Bowens und Scott mit erfrorenen Füßen auf ihren Tod.
Erst nach Ende des arktischen Winters schickte man von Scotts Expeditionsschiff "Terra Nova"
einen Suchtrupp unter Leitung von Offizier Atkinson ins ewige Eis. Er fand das halb zugewehte Zelt mit den drei Leichen und
Scotts Tagebuch, das am 29. März endete.