Schon früh am Morgen drückt es auf die Blase. Auf dem Platz ist es ruhig, nur Regentropfen trommeln auf´s Zelt. Auch das noch! Ich schlüpfe in meine Turnschuhe und mach mich auf den kurzen Weg zur Toilette im Sanitärhäuschen. Doch ich kehre wieder um, da die Wiese vor dem Häuschen knöchelttief unter Wasser steht.
Ich hole meine Gummibadeschlappen aus dem Auto und stapfe durch das unangenehme kalte Wasser. Jetzt sind die Füße zwar richtig nass, aber die Turnschuhe sind wenigsten von innen trocken geblieben.
Mechtild liegt noch flach - bei dem Mistwetter treibt uns noch nichts zum Gletscher. Erst gegen 11:00 Uhr, als die ersten Regentropfen durch die Nähte unseres Billigzeltes dringen und auf die Schlafsäcke klatschen, setzen wir Kaffeewasser auf.
In dem kleinen Vorzeltbereich haben sich auf unserer Plane, die wir zum Schutz gegen Bodenfeuchtigkeit unter dem Zelt ausgebreitet haben, tiefe Wasserpfützen angesammelt. Vor dem Frühstück versuchen wir erstmal unser Esszimmer trockenzulegen.
Auf den Kunststoff-Gucklöchern unseres Vordaches perlen die Regentropfen und an den Berghängen ziehen Nebelschwaden hoch.
Da das miese Wetter einfach nicht das Tal verlassen will, geben wir nach und brechen in strömendem Regen kurz nach 13:00 Uhr auf. Ausgerüstet mit gefütterten Gummistiefeln, die wir vor dem Urlaub im Landhandel besorgt haben, sowie mit Regenjacken und -hosen fühlen wir uns der feuchten Witterung gewachsen.
Wir verzichten auf die Anfahrt mit dem Auto bis zum Parkplatz an der Fjellstove und laufen entlang der Straße. Die Tasche mit der Fotokamera ist sicher unter Mechtilds Regenjacke verstaut.
Die Stiefel sind zwar etwas schwer, aber sie sitzen sehr eng und es läßt sich angenehm gehen. Ein paar Autos und ein Reisebuss überholen uns, macht uns aber nicht neidisch. Die Teerstraße, die ziemlich gerade verläuft, zieht sich.
Nach ca. 3-4 Kilometern steigt die Straße etwas an und wird kurvig. Wir überqueren einen Wildbach und passieren kurz danach die Einfahrt zum Campingplatz Melkevoll Bretun.
Nach einer weiteren kurzen Steigung stehen wir vor der Briksdalsbre Fjellstove auf 180 m Höhe. Auf dem Parkplatz links der Straße stehen zwei Reisebusse - einer aus Deutschland, der andere aus Frankreich. Im Souvenirshop herrscht reges Treiben - wahrscheinlich
weil es da trocken ist. Bevor wir den Laden betreten, um ein paar Postkarten zu kaufen, schütteln wir uns erstmal halbwegs trocken. Trotzdem hinterlassen unsere Stiefel feuchte Abdrücke.
Nach dem Einkauf bietet uns ein kleine, geschlossene Bude mit Vordach, die am Beginn des Schotterwegs steht, Regenschutz. Es gießt nicht mehr in Strömen und die dunklen Wolken ziehen allmählich in Richtung Norden ab.
Als es nur noch ganz leicht nieselt, verlassen wir den Unterstand, um leicht bergan dem Fahrweg in das Seitental des Briksdalsbreen zu folgen. Als Alternative gibt auch einen als "Natursti" gekennzeichneten Pfad, der am Kutschenparkplatz an der Fjellstove beginnt und unterhalb des Fahrwegs am Bach entlang verläuft. Endlich kommt auch die Fotokamera wieder ans Tageslicht und Mechtild schießt rückblickend zur Fjellstove unser erstes Photo dieser Tour. Über mehrere Stufen fällt am dahinterliegenden
Berghang ein schöner Wasserfall, der vom Schmelzwasser des Myklebustbreen gespeist wird, ins Oldedalen. Warum dieser Fall, der in Deutschland eine Touristenattraktion wäre,
nirgenwo namentlich erwähnt wird, ist uns ein Rätsel.
Oberhalb des breiten, schäumenden Gletscherabflusses zieht sich der Fahrweg nach Osten ins Tal. Saftige grüne Wiesen liegen zwischen Wildbach und Weg. Auf der gegenüberliegenden Flussseite haben sich drei Fjordinger einen Wetterschutz gesucht.
Diese im Oldedalen und an anderen Orten in Sogn og Fjordane gezüchtete, robuste Pferderasse wird schon seit fast hundert Jahren zum Ziehen der einachsigen Touristen-Gletscherkutschen eingesetzt. Wegen des schlechten Wetters sind sie bis jetzt
noch nicht zum Einsatz gekommen.
Wildbach und Weg verlaufen jetzt fast auf selber Höhe. Das Rauschen des Kleivafossen wird immer lauter. Hier kreutzt der Wanderpfad den Fahrweg und überwindet als schmaler Steilpfad die Talstufe.
Wir bleiben auf dem Fahrweg, obwohl fast alle nachfolgenden Wanderer den Pfad nehmen. Der Fahrweg macht jetzt eine Rechtskurve und gibr den Blick auf den Kleivafossen frei. Leider sind noch keine Kutschen unterwegs, so dass uns das bekannte Motiv - der Wasserfall und die Brücke mit Kutsche - nicht vergönnt ist.
Wir gelangen zur Brücke, wo die Gischt des Falles in Schleiern uber den Fahrweg zieht. Wir sind für diese Stelle mit unserer Regenkleidung gur ausgerüstet. Nur die Fotokamera muss wieder unter die Jacke. Nach der Brücke führt der Weg in Serpentinen steiler bergan und wird matschiger, aber mit unseren Stiefeln kein Problem.
Die Überwindung der Talstufe gibt endlich den Blick auf die Gletscherzunge frei, die sich zwischen den glatten, steilen Felswänden hindurch ins Tal schiebt. Ein gewaltiger Anblick. Bäume versperren noch die Sicht auf den unteren Auslauf. Der Himmel ist immer noch milchig trüb.
Vor der zweiten Brücke biegt rechts der Pfad zum Kattanakken ab, einem Höhenrücken oberhalb ders Tales. Wer den Briksdalsbreen von oben sehen will, folgt dem Südufer des Flusses bis zum Bach, der vom Kjøtabreen hinunterstürzt. Ab dort führt der Pfad steil von der Baumgrenze zum felsigen Rücken des Kattanakken hinauf.
Erfahrene Bergsteiger mit Gletschererfahrung können den Jostedalsbreen nach Tungestølen auf der Ostseite überschreiten.
Wir bleiben auf dem Fahrweg, überqueren die Brücke, passieren auf fast ebenem Weg einen noch geschlossenen Kiosk, der an der Stelle der Endmoräne von 1700 errichtet wurde, und gelangen zum oberen Halteplatz der Pferdekutschen. Hier mündet der Steilpfad, der am Nordhang die Talstufe überwunden hat. Knapp eine Stunde ist seit Tourbeginn vergangen.
Ab dem Halteplatz führt ein ein breitausgetretener Pfad durch den Auwald des Flusses in Richtung Gletscher. Dicke Felsbrocken säumen den Pfad. Die Zunge rückt immer näher.
Die ersten Sonnenstrahlen lassen die immer bizarrer und zerrissener wirkende Oberfläche in einem leuchtenden Hellblau erstrahlen. Nach weiteren 20 Minuten ab dem Halteplatz haben wir es geschafft. Noch eine Erdstufe hinunter und wir stehen am Ufer des kleinen Gletschersees, in dem kleine abgebrochene Eisklumpen schwimmen. 200 Höhenmeter sind es von der Fjellstove bis hierhin.
Die Menschen wirken klein vor diesen gewaltigen Eismassen, die sich erst in den letzten 2.000 Jahren wieder neu gebildet haben. Hinter dem See, über der Südwand des Tales, sieht man ein Stück des Plateaugletschers, dessen Schmelzwasser kaskadenartig über die nackten Felsen fällt.
Am Fuß des Gletschers hat sich ein kleiner Wall Moränenmaterial abgelagert. Warnschilder machen darauf aufmerksam, dass man der Abbruchkante nicht zu nahe kommen soll, da durch die Bewegung des Gletschers immer wieder Eisbrocken abbrechen können.
Mit den Gummistiefeln wagen wir uns in das Wasser des Gletschersees. Trotz des Innenfutters der Stiefel dringt die eisige Kälte nach kurzer Zeit durch.
Viele der Gletscherbesucher sind nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Vielleicht Pauschaltouristen, die zu einer bestimmten Zeit wieder am Bus sein müssen. Wir haben Zeit und beschließen entlang der Nordseite des Gletschers höher zu steigen, aber immer im gebührenden Abstand zum Eis. Das Gelände ist mit niedrigen Fjellbirken und Weidensträuchern bewachsen, dazwischen liegen kleine und große mit Moos und Flechten bewachsene Felsen. Es geht ein paar langgezogene Moränenhügel rauf und wieder runter. Hier weiter oben ist es ruhig, nur ein paar rufende Kinderstimmen dringen gedämpft vom Gletschersee herauf.
Man fühlt sich klein neben den Eismassen. Wir denken uns, dass es hier an der Seite nicht ganz so gefährlich ist, wie an der Abbruchkante. Trotzdem ist uns ein wenig mulmig. Otto traut sich auch nur zwei, drei Schritte auf´s Eis. Ohne Führer und entsprechender Ausrüstung ist dringendst davon abzuraten, sich auf dem Gletscher zu bewegen.
Eine nahe Gletscherspalte erweckt unsere Neugier. Erst innerhalb der Spalten tritt das faszinierende Gletscherblau so richtig in Erscheinung. Wider aller Vernunft wagen wir uns zwischen die Eiswände. Der Blick nach oben wirkt bedrohlich.
An einer breiteren Stelle bildet Schmelzwasser ein kleines Rinnsal und fällt in eine Eishöhle. Doch das Schönste steht uns noch bevor. In einer schmalen Nebenspalte hängen regelrechte Eisfahnen, von denen das Schmelzwasser abtropft. Wir fühlen uns in eine Tropfsteinhöhle versetzt.
Zufrieden mit der Fotoausbeute und froh, dass alles gut gegengen ist, tauchen wir wieder aus der Höhle auf.
Man kann sich kaum vorstellen, dass auf dieser zerküfteten Oberfläche Gletschertouren angeboten werden. Doch mit heimischen, ausgebildeten Führern kann dies ein einmaliges, spannendes und sicheres Erlebnis sein, das man so schnell nicht wieder vergisst. Unseren Ausflug in die Eishöhle haben wir im Nachhinein als sehr leichtsinnig und nicht nachahmenswert empfunden.
Just in dem Moment, als wir den Abstieg beginnen wollen, zeigt sich die Sonne und lässt den Gletscher leuchten. Unten im Tal erkennen wir den Gletschersee und weiter rechts den Wasserfall hinter der Briksdalsbre Fjellstove. Es ist für diesen Tag der letzte Durchbruch der Sonne durch die graue Wolkendecke. Schnell sind wir wieder am Gletschersee, wo es schon merklich stiller ist.
Ab dem Kutschenhalteplatz wählen wir für den Rückweg den Pfad am Nordhang, der wesentlich kürzer ist. Als der Pfad wieder auf den Fahrweg trifft, laufen wir auf diesem den Rest des Weges bis zur Fjellstove.
Kein Omnibus ist mehr zu sehen. Jetzt wünschen wir doch, dass unser Auto hier stehen würde. Na ja die 3 km Teerstraße schaffen wir auch noch. Etwas frustrierend ist nur, dass uns auf dieser
Strecke eine ganze Kolonne mit leeren Touristenkutschen überholt, aber uns keiner zum Mitfahren einlädt. Was soll´s! Kurz vor sieben Uhr sind wir wieder am Campingplatz und sind froh, dass wir - trotz anfänglichem Sauwetter - diese Tour unternommen haben.
Nach dem Abendessen erkunden wir noch spät mit dem Auto das Oldedalen. Kurz vor Mitternacht legen wir uns schlafen.
Unser morgiges Ziel ist die Vogelinsel Runde an der Westküste.